7 Tipps für weltklasse remote Interviews ODER das telefonische Interview mit dem texanischen Brummi-Fahrer auf dem Highway

6 Wochen Homeoffice dank Corona, 42 remote Interviews in Deutschland, USA und China und unzählige vor dieser besonderen Zeit. Ich teile meine 7 Tipps für remote Interviews – so könnt ihr entspannter in eure gehen. Und am Ende gibts auch noch die Geschichte mit dem Brummi-Fahrer, versprochen.

 

1. Die Sache mit der Rekrutierung von remote Interviews

Um unliebsame Überraschungen zu vermeiden, fragen wir bei der Rekrutierung von Probanden für remote Interviews zusätzlich zu den Rekrutierungsanforderungen folgende Punkte ab:

1. Welche Hardware hat der Teilnehmer, um am Interview teilzunehmen?

Je nach Testgegenstand benötigen die Probanden andere Devices. Soll eine mobile Webseite getestet werden, benötigt der Teilnehmer ein entsprechendes Gerät.Zusätzlich zum Testgerät wird eine Kamera, ein Mikrofon und Lautsprecher benötigt. Diese Dinge befinden sich eigentlich an jedem Laptop – allerdings haben immer mehr Menschen gar keinen Laptop oder PC mehr zu Hause. Das sollte unbedingt in der Rekrutierung abgefragt werden.
Ebenso hilfreich sind ein Headset oder Kopfhörer (falls vorhanden), um fiese Rückkopplungen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang auch sehr wichtig (insbesondere bei B2B Tests): Hat der Proband die technischen Befugnisse, auf Mikrofon und Kamera zuzugreifen und ggf. Tools zu installieren (siehe auch: 3. Die Sache mit dem richtigen Tool) und diesen die Zugriffe zu erlauben?

2. Wie hoch ist die Technikaffinität der Person?

Remote Interviews haben eine Einschränkung: Die Befragung von absoluten Technik-Dummies Personen stellt eine große Hürde dar. Ihr solltet vor der Planung des Test unbedingt festlegen, ob nicht-affine Menschen befragt werden müssen. Ich ratehiermit davon ab, da leider in den seltensten Fällen ein Interview komplett ohne technische Hürden abläuft. Aus diesem Grund fragen wir die Technik-Affinität bei der Rekrutierung ab. Meistens hilft hier schon eine Selbsteinschätzung der potentiellen Probanden, um ein Gefühl zu bekommen.

3. Wie stabil ist die Internetverbindung?

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: die Stabilität der Internetverbindung ist ziemlich eigensinnig, besonders im privaten Umfeld. Von daher solltet ihr bei der Rekrutierung abfragen, was für eine Internetverbindung vorhanden ist und ob die Testpersonen schon Videokonferenzen oder Videostreaming gemacht haben. Falls ein Proband lediglich Internet über LTE zur Verfügung hat, würde ich ihn nicht zum Interview einladen.
Wenn dann ein passender Kandidat gefunden wurde, solltet ihr unbedingt vor dem Testtag ein Technik-Test durchführen. Den kann der Teilnehmer entweder alleine mit Hilfe einer Anleitung und den passenden Links oder gemeinsam mit dem Rekrutierer oder Interviewer durchführen. Es ist äußerst wichtig, dass das Tool vorab einmal ausprobiert wurde, damit die Überraschungen am Testtag nicht allzu groß werden.
Um auf Probandenausfälle reagieren zu können, nutzen wir normalerweise sogenannte Floater, die über mehrere Interviews bereit stehen, falls ein Proband nicht erscheinen sollte. Im Fall von remote Interviews nutzen wir anstelle von Floatern Ersatzkandidaten, die am Ende aller Interviews bei Bedarf genutzt werden können. So stellen wir einen reibungslosen Ablauf selbst bei einem (technischen Total-) Ausfall sicher.

2. Die Interview-Planung für remote Interviews

Was ihr sicherlich selbst schon mitbekommen habt: virtuelle Meetings sind anstrengend. So ergeht es auch den Probanden, die im Zweifel noch nicht 4 Wochen remote Training mit den Kollegen hinter sich haben. Remote Interviews lassen die Probanden schneller ermüden als Face-to-Face Interviews. Deswegen gilt für remote Interviews: In der Kürze liegt die Würze.

Die Interviewlänge sollte 60 Minuten nicht überschreiten. Noch besser wäre eine insgesamte Länge von 60 Minuten, also inklusive Technik-Setup und Vorbesprechung.

Apropos Technik-Setup und Vorbesprechung: Hierfür solltet ihr 15 Minuten offiziell einplanen. Diese Zeit kommt also zusätzlich zum Interview dazu. Interviewleiter und Proband sollten sich früher einfinden, damit gegebenenfalls auftretende Probleme gemeinsam gelöst werden können. Außderdem ist es hilfreich, dem Probanden ein kurzes Briefing zu geben, falls es Probleme mit der Übertragung von Bild oder Ton gibt. Ein weiterer Effekt: Man kommt nicht ins Schwitzen, weil einem die wertvolle Interviewzeit wegrennt. Außerdem solltet ihr sicherstellen, dass ihr weitere fünf Minuten vor dem Interview im Tool seid – das ist einfach eine Sache der Höflichkeit.

Normalerweise werden unsere Interviews direkt live von unseren Kunden und einem weiteren Consultant von eparo beobachtet. Imremote Setup ergibt es allerdings auch Sinn, die Interviews vor dem Beobachtungstermin durchzuführen und aufzuzeichnen. Die Beobachtungssession selbst kann dann ohne Verzögerung stattfinden. Bei schwierigen Interviews oder Technik-Problemen im Interview können so sogar nicht-relevante Stellen vor der Beobachtung aus dem Interview geschnitten werden.

Achja, falls es sich um Interviews im Ausland handeln sollte, denkt unbedingt an die verschiedenen Zeitzonen! Hierbei haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Aufzeichnen der Interviews und das anschließende, gemeinsame Ansehen reibungsloser funktioniert als die Live-Beobachtung.

3. Das passende Konferenz-Tool

Die Toolauswahl ist eine der wichtigsten Entscheidungen in der Planung von remote Tests. Es gibt unzählige Videokonferenz-Tools oder sogar Tools, die extra für Nutzerbefragungen gemacht sind.

Bild_Toolübersicht Header Blog

Unabhängig von Tool-Empfehlungen ist es wohl eine sehr individuelle Entscheidung, welches Tool in eurem Test das Richtige ist. Ich habe ein paar Fragen, die als Orientierung dienen können, zusammen gestellt:

- Was möchte ich testen?

- Muss das Tool ein mobiles Setting übertragen?

- Brauche ich Screensharing?

- Brauche ich eine Fernsteuerung?

- Wer ist mein Nutzer?

- Kann und will dieser Programme installieren?

- Würde er einen Account anlegen?

- Wie datensensibel ist der Nutzer?

- Wie datensensibel ist mein Kunde?

- Darf ich über einen US-Dienst streamen?

- Darf der Proband einen Prototypen installieren?

Grundsätzlich gilt: die technischen Hürden sollten so gering wie möglich gehalten werden. Ich teste am Liebsten mit Zoom.us. Zum "Zoomen" wird keine Installation und kein Account benötigt. Außerdem läuft es über verschiedene Browser (am besten jedoch über google Chrome). Technische Anforderungen wie Teilen des Bildschirmsoder Fernsteuerung sind bei Zoom (meistens) auch kein Problem.

Bevor das Tool dann an die Probanden kommuniziert wird, muss in jedem Fall ein interner Technik-Test erfolgen. Manchmal hat man sich sehr stolz einen Plan überlegt, der in der Technik mit “Nicht-Funktionieren” brilliert. Bezieht beim Pilot-Test unbedingt verschiedene Geräte und Browser mit ein.

Ist das richtige Tool gefunden, solltet ihr eine Anleitung für die Probanden zusammenstellen. Bedenkt hierbei verschiedene Szenarien und bebildert die einzelnen Schritte gut. Behaltet immer im Hinterkopf: Nutzer (und Probanden) lesen nicht. ;)

Übrigens: Johanna hat in einem Blog-Beitrag eine Übersicht über verschiedene Tools zusammengestellt. Schaut dort gerne mal vorbei: Toolübersicht

4. Auch sehr wichtig: Die Datenschutzerklärung

Datenschutzerklärungen sind essentiell. Das brauche ich wahrscheinlich nicht zu erwähnen. Bei remote Interviews sind sie vielleicht sogar noch wichtiger und sollten bei der Planung von Tests nicht vergessen werden. Die Datenschutzerklärungen müssen unbedingt vor Durchführung des Interviews vorliegen.

Ist doch ganz einfach, mag man denken. Wir schicken das PDF rüber und der Proband schickt es unterzeichnet zurück… Theoretisch ja, aber man kann nicht davon ausgehen, dass alle Probanden:

- einen Drucker undeinen Scanner zu Hause haben.

- vor dem Interview (zusätzlich zu einem Technik-Test) auch noch die Datenschutzerklärung drucken, scannen und zurücksenden.

- die Einladungen akribisch lesen und überhaupt wissen, dass eine Handlung von ihnen erforderlich ist.

Wie also kann man das Thema auf einem eleganten Weg lösen?

Ein guter Weg sind online Tools, die eine digitale Unterzeichnung ermöglichen (z.B. https://www.docusign.de/). Mit solch einem Tool kann die Datenschutzerklärung sehr einfach online unterzeichnet werden. Nachteil hierbei: diese Tools sind nicht kostenlos für den Organisator.

Falls ihr euch doch für den herkömmlichen Weg entscheiden sollte, ist es auch hier ratsam, einen Plan B im Petto zu haben. Das Interview soll beginnen, es liegt keine Datenschutzerklärung vor? Dann kann die Vereinbarung auch auf einer Videoaufnahme vorgelesen werden und der Proband gibt sein mündliches Einverständnis direkt auf einer Videospur.

Übrigens sollte man seine Datenschutzerklärung gegebenenfalls nochmal um das genutzte Testtool erweitern (Datenverarbeitung und so…).

 

5. Das Testen auf Geräten von Probanden

Erste und wichtigste Regel hierbei: Nutzt keine iPhones für Nutzertests! iOS tut sich bekanntlich mit Freigaben und App-Installationen schwierig. Aus meinen Erfahrungen heraus, würde ich keinen Usertest auf iPhones basieren. Stellt das in euren Rekrutierungsanforderungen sicher. Bei Android-Geräten klappt es aber meistens super!

Ein weiterer wichtiger Punkt: auf den Geräten der Probanden dürfen keine persönlichen Informationen zu sehen sein. Eins ist sicher: Die Probanden selbst achten nicht auf solche Details und wissen meistens gar nicht, wie sie ihre Daten schützen können. Stellt in der Technik-Setup Zeit sicher, dass die Notifications ausgestellt werden – kein

er möchte während des Interviews ganz persönliche Bilder mit dem ganzen Projektteam teilen.

Diesen Schritt könnt ihr auch gleich dazu nutzen, eine Vertrauensbasis zwischen Proband und Interviewer aufzubauen.

6. Beobachter im selben Konferenz-Tool?

Nein. Einfach nur Nein.

Für die Beobachtung der Interviews solltet ihr eine andere Lösung finden. Es ist schon schwierig genug virtuell eine Bindung zum Probanden aufzubauen. Da ist es nicht hilfreich, wenn sich noch andere Personen im selben virtuellen Meeting befinden – und dann vielleicht noch den Ton an haben…

In meinen Augen gibt es zwei viel bessere Alternativen:

1. Aufzeichnung der Interviews, um sie gemeinsam gebündelt ansehen zu können.

2. Streamen des Meetings über ein anderes Tool. Das geht beispielsweise über OBS (https://obsproject.com/de) und eine weiteres Konferenztool oder einen Streaminganbieter.

 7. Backup-Pläne retten remote Interviews

Das wichtigste ist: keine Panik. Man kann sicher sein, dass immer Überraschungen auftreten werden. Aber es gibt kein Problem, was nicht gelöst werden kann. Es hilft, ein paar Backup-Pläne parat zu haben. Hier einige Beispiele:

- Tonübertragung funktioniert nicht? Nehmt das Handy als Hilfsgerät.

- Das Probandenbild wird nicht übertragen? Es ist in den meisten Fällen nicht schlimm.

- Der Proband kann das Tool nicht nutzen? Hab immer einen Strauß an Alternativen bereit.

- Es funktioniert gar nichts, wie es sollte? Kein Problem, solange du einen positiven Draht zum Probanden behältst.

Ihr seht, remote Interviews sind kein Hexenwerk. Es bedarf lediglich einer intensiveren Vorbereitung und Gelassenheit im Interview. Und wenn es doch mal ganz schrecklich ist, hilft am Ende auch ein Corona um den ersten Schock zu überwinden;).

Und nun zur der Geschichte mit dem Brummi-Fahrer:


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Es war eine Studie, die Anforderungen für ein Jobportal eines Logistik-Unternehmens sammeln und deren Live-Seite beurteilen sollte.

In diesem Test ging so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte: Kein Probandenbild, Tonqualität war besch*, da der Proband im LKW unterwegs war, sprachlich trotz native Speakers eine Herausforderung, Ablenkungen durch den Straßenverkehr und kein Screensharing zur Bewertung der Seite möglich...

- Mussten wir alle durchatmen, damit wir ruhig bleiben konnten? Ja!

- Hätte das Interview besser laufen können? Ja!

- Haben wir trotzdem Learnings aus dem Interview gezogen? Ja!

- Ist es am Ende witzig und unser Paradebeispiel für remote Katastrophen? Ja!

Übrigens arbeiten wir gerade an einer kompletten remote Testing-Serie. Abonniert hier unseren Newsletter, um keinen Artikel zu verpassen.

Hier berichtet Peer über das internationale Projekt – komplett remote – mit tesa.

Und hier gibt’s die Tool-Übersicht von Johanna.

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