World Usability Day 2014 in Hamburg: Track 1 - Aufruf zur Revolution

World Usability Day 2014

Service Design zwischen Nutzerfreundlichkeit und Weltverbesserung

Engagement – unter diesem Motto fand am 13.11.2014 der neunte World Usability Day in Hamburg statt. Rund 220 Gäste kamen. Wie schon seit 9 Jahren hat eparo den weltweiten Aktionstag für Benutzerfreundlichkeit ihn in Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) organisiert.

1 – Alle Vorträge zum Download
2 – Der WUD 2014 in Hamburg: Zwei Rückblicke
3 – Revolte und Umsturz: Im Track 1 beginnt die Zukunft
4 – Track 2: Meinungen zu User Experience
5 – Der Einfluss der Sitzordnung auf die Workshopatmosphäre

Im Ditze Hörsaal werden Revolution und Generalstreik ausgerufen.

Am 13.11.2014 sind im Track 1 des World Usability Day in Hamburg denkwürdige Dinge geschehen:

  • Es wurde von Verantwortung geredet
  • Es wurde vom Imperativ Gutes zu tun geredet
  • Es wurde offen zum Streik aufgerufen
  • Es wurde empfohlen, zu kündigen, wenn das Arbeitsumfeld nicht stimmt.

Das habe ich in 9 Jahren WUD in Hamburg noch nie erlebt. Traditionell geht es immer um Fallstudien und Methoden, aber nicht um die offene Rebellion. Was ist passiert?

Ich habe natürlich etwas reisserisch angefangen. Es flogen keine Brandsätze und es wurden auch keine Barrikaden gebaut. Es wurden "nur" 6 Vorträge gehalten, die an den Grundfesten der aktuellen Arbeitskultur für digitale Services gerüttelt haben.

Am besten erzähle ich mal chronologisch:

Die Vorbereitung

Den Stein ins Rollen gebracht hat das diesjährige Motto des WUD: "Engagement". Im Call for Papers haben wir ausdrücklich um Vorschläge gebeten, die dem Thema Rechnung tragen. Mit 25 Einreichungen konnten wir aus dem Vollen schöpfen und für den Track 1 sechs Vorträge aussuchen, die thematisch eher auf höherer Flughöhe die Themen Verantwortung, Engagement und Kultur beleuchten wollten. Damit war dann schon klar, dass Track 1 nicht langweilig wird.

Session 1: Über die Verantwortung jedes Einzelnen

Matthias Müller-Prove als Hamlet.

1. Akt: Die Rolle des Einzelnen

Matthias Müller-Prove hat dann den Reigen eröffnet mit einer bühnenreifen Shakespeare Rezitation aus Hamlet. Ich hab nicht so wirklich alles verstanden.

Im Kern ging es aber um die Möglichkeiten jedes Einzelnen, sich zu engagieren.

Auf jeden Fall wurde am Schluss auch noch der Grund für das Shakespeare-Zitat aufgeklärt.

Benelli Knarre als Beispiel für gutes Design.

2. Akt: Aufruf zum Zusammenschluss

Rainer Sax konnte diesen Aufruf ans Engagement noch mal steigern. Gut gefallen hat mir sein eindringlicher Appell an die dritte Form von Engagement: „Tu Gutes“. „Schönes Design“ und „Geld verdienen“ reicht nicht. Sein Beispiel für schönes Design (ein Sturmgewehr in Wüsten-Camouflage) hat das sehr schön belegt.

Ilona und Manuela über das Träumen und Feiern in Projekten.

3. Akt: Vom Träumen und Feiern

Ilona Koglin und Manuela Bosch sind dann wieder etwas zurück gegangen auf die pragmatische Projektebene. Ihr Appell - zur Projektarbeit gehört auch das Träumen und das Feiern -, hat mir zu denken gegeben. Gut gefallen hat mir die Definition, dass Feiern auch Feedback und Kritik bedeutet. Mal sehen, wie wir das in den kommenden Projekten besser machen können...

 

Session 2: Unternehmenskultur als Hauptproblem

Jetzt wird es langsam gesellschaftskritisch. Es geht um die großen Baustellen auf dem Weg zu guten und innovativen digitalen Services.

Timo über KPIs

1. Akt: Wir mogeln uns mit KPIs durch

Timo Fritsche erzählt aus der täglichen Erfahrung mit den seltsamen Entscheidungen der Führungskräfte und deren Wunsch nach Kontrolle und Anerkennung. Grundsätzlich muss hier ein Kulturwandel her, was aber schwierig ist und lange dauert. Daher propagiert Timo seine Jiu Jitsu Taktik, um Projekte erfolgreich(er) umsetzen zu können: „Sprecht die Sprache der Manager. Redet von KPIs, wenn ihr Projekte begründet und Projektergebnisse vorstellt.“ (Anmerkung der Redaktion: KPI = Key Performance Indicator. )
Kurzfristig ist das sicher ein guter Weg, um den Arbeitsalltag erfolgreicher zu gestalten. Wirklich zufriedenstellend und langfristig erfolgversprechend erscheint es mir aber nicht.

Das Biest Unternehmenskultur

2. Akt: Weg mit den Hierarchien

Daniel Neuberger hat auch schon oft am eigenen Leib erfahren, wie destruktiv Unternehmenskultur sein kann. Seine gut hergeleitete Schlussfolgerung: Im Zeitalter der digitalen Disruption ist eine neuen, netzwerk-orientierte Unternehmenskultur ein massiver Wettbewerbsvorteil. Die alten, hierarchisch organisierten Unternehmen werden es schwer haben oder aussterben.
Ich glaube, Daniel hat total recht. Besonders wenn es um im Kern digitale Services geht. In der Diskussion wurde aber auch klar, dass es wohl noch etwas dauern wird, bis auch in Großunternehmen wie Volkswagen die Hierarchien verschwinden:-)

Im Kern geht es um Engagement

3. Akt: Aufruf zu Streik und Kündigung

Zu guter Letzt konnte ich auch noch meinen Senf dazu geben. Es ist ja im Kern sehr positiv, dass wir inzwischen von den Methoden her gut in der Lage sind, innovative digitale Services zu entwickeln. Wie auch schon Daniel, bin ich aber überzeugt davon, dass diese eher team-orientierten, co-kreativen Methoden keine Chance haben, wenn sie auf die traditionellen Entscheidungs- und Machtstrukturen stoßen. Die Lösung heisst ganz klar: Eine neue Unternehmenskultur.
Dieser Wandel entsteht vielleicht durch kleine Schritte, oder aber durch Druck. Mein Aufruf ist daher: Streikt, wenn ihr ein Projekt machen sollt, wo schon vorher klar ist, dass es an den Entscheidungsstrukturen scheitern wird. Ihr werdet ja schließlich für gute, professionelle Ergebnisse bezahlt. Wenn das nichts nutzt, sucht euch einen besseren Arbeitgeber. Gute UXler werden gerade überall gesucht...

Das Fazit

Ich war total begeistert von den Vorträgen und den Diskussionen. Wir kommen langsam beim Kern des Problems an: Unternehmenskultur und neue Formen der Arbeit.

Wir sind alle in der Verantwortung für unser eigenes Arbeitsumfeld und die Ergebnisse unserer Arbeit. Die Aufgaben sind so komplex geworden, dass wir sie nur noch im Team verstehen und lösen können. Das passt aber überhaupt nicht zu den klassischen Hierarchien. Es braucht neue Formen der Zusammenarbeit.

Lasst uns daran arbeiten!

Redaktion: Beate Winter